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20.01.08 "Das wird keine Fassade fürr ein Einkaufscenter, das wird ein richtiges Schloss" (1. Fo
Geschrieben von: Matthias Witte   

Zum Missbrauch des lokalen Pressemonopols der Braunschweiger Zeitung am Beispiel ihrer Berichterstattung zum sogenannten "Wiederaufbau des Schlosses"

Vorwort

Ungefähr 3 Monate ist es her, dass die Braunschweiger Zeitung (BZ) von ihrem Chefredakteur Paul-Josef Raue zur Bürrgerzeitung erklärt wurde. In diesem Zusammenhang war die Rede von unserer Demokratie, und es war die Rede davon, dass alle -auch die unbequemen Geister- zu Wort kommen sollten. „Unsere Zeitung setzt sich dafürr ein, dass [...] eine wirkungsvolle Kontrolle der Mächtigen garantiert ist“ so das Credo des Chefredakteurs in seinem an alle Bürrgerinnen und Bürrger unser Region adressierten Brief, in dem weiter zu lesen war: „Unsere Zeitung ist ständig bemürht, nicht nur die Leser ständig auf dem Laufenden zu halten, was in der Region passiert, sondern auch aufzudecken, was andere vertuschen wollen.“

Raue, Mitverfasser eines Standardwerkes ürber Journalismus, ist sich offensichtlich der Verantwortung bewußt ist, die seine sich „unabhängig - nicht parteigebunden“ nennende Zeitung fürr die politische Kultur Braunschweigs hat. Die BZ ist die einzige Tageszeitung dieser Stadt. Sie besitzt damit ein Quasi-Monopol fürr die Lokalberichterstattung. Fürr die Mehrheit der Braunschweiger Bevölkerung stellt sich die Stadt so dar, wie sie in der BZ beschrieben wird.

Um so schwerer wiegen die Bedenken, dass die Berichterstattung der BZ vielleicht doch nicht so vorbehaltlos der ganzen Wahrheit und der Kontrolle der Mächtigen verpflichtet ist, wie es Raue fürr seine Zeitung reklamiert. Schon im Jahr 2003 war in der FAZ im Zusammenhang mit der BZ von ’Hofberichterstattung’ fürr den Braunschweiger Oberbürrgermeister Dr. Hoffmann die Rede. Eine einseitige Berichterstattung wird von vielen seit langem kritisiert.

Bislang machte sich die Kritik schlaglichtartig an einzelnen BZ-Artikeln oder kleineren Artikelfolgen fest. Es fehlte ein ürberblick ürber mehrere Jahre Berichterstattung der BZ zu einem zentralen Thema der Lokalpolitik, der verdeutlichen könnte, dass es sich bei den monierten Artikeln weder um einseitig herausgegriffene Beispiele einer insgesamt ausgewogenen Berichterstattung noch um vereinzelte Ausrutscher handelt, sondern um Musterbeispiele eines systematisch betriebenen Tendenz-Journalismus. Mit der vorliegenden Dokumentation und Analyse soll ein solcher ürberblick gegeben werden.

Untersucht wird darin die Berichterstattung der BZ in den Jahren 2004 bis 2006 ürber die so genannte ‚Rekonstruktion des Braunschweiger Residenzschlosses’, sowie Aussagen und Verlautbarungen seitens der Stadtverwaltung zum gleichen Thema. Die Untersuchung kann sich auf mehrere Hundert Artikel der BZ stürtzen. Eine repräsentative, alle wesentlichen Artikel berürcksichtigende Auswahl wird im Folgenden vorgestellt, kommentiert und in das politische Umfeld eingeordnet.

Die Berichterstattung der BZ zum Thema "Schloss" bietet sich als Betrachtungsgegenstand aus folgenden Grürnden an:
- Zum einen war die Frage, wieweit das alte Ottmer-Schloss im Zuge des ECE-Centers wiederaufgebaut würrde (nur eine Fassade oder das ganze Schloss?) ürber Jahre hinweg ein zentrales und von der Bürrgerschaft der Stadt z.T. hochemotional verfolgtes lokalpolitisches Thema.
- Zum anderen konnte sich der durchschnittliche Braunschweiger zu dieser Frage bis zur Eröffnung des Centers selbst kein eigenes Bild machen und war auf die Broschürren der Stadtverwaltung und die Artikel der quasi monopolen BZ angewiesen. Die Stadtverwaltung aber wollte in diesem Fall vertuschen, dass ürber die 3 Hauptfassaden hinaus kaum etwas vom alten Ottmer-Schloss nachgebildet werden sollte, und nährte in ihren Veröffentlichungen die Hoffnung auf ein ganzen Schlosses, um so das ECE-Center populär zu machen.

Hier fiel der BZ also eine besondere Verantwortung zu: "Aufdecken, was andere vertuschen wollen". Das dazu nötige Faktenwissen konnten sich ihre Redakteure ürber Einblick in die Ratsunterlagen ab spätestens Mitte 2004 ohne weiteres verschaffen.Wie die BZ mit dieser Verantwortung umging, wie sie nicht nur das Aufdecken unterlies, sondern im Gegenteil mit ihrer Berichterstattung ürber die ‚Schloss-Rekonstruktion’ in enger Tuchfürhlung mit der Stadtverwaltung systematisch und mit lürckenloser Konsequenz die Irrefürhrung ihrer Leser betrieb, ist in der folgenden Dokumentation nachgezeichnet.

Deutlich werden dabei die Mittel, derer sich die BZ bedient, wenn sie mit ihren Artikeln beim Leser einen nicht den Tatsachen entsprechenden Eindruck zu erwecken will, ohne deshalb in einem fort vom Presserat gerürgt zu werden. Diese Mittel, wie z.B.
- das Verschweigen entscheidender Tatsachen
- Begriffsbildungen, die dem ürblichen Sprachgebrauch spotten
- unlautere Zitiermethoden,
ergeben zusammen einen eigentürmlichen Stil, den man -einmal auf ihn aufmerksam geworden- mit etwas Hintergrundwissen auch in den laufenden Ausgaben der BZ unschwer wiedererkennen wird. Auch wenn die im folgenden untersuchte ‚Schloss'-Berichterstattung schon einige Zeit zurürckliegt, wirken schließlich die Redakteure der BZ, die fürr die ‚Schloss’-Berichterstattung verantwortlich zeichnen, in denselben Positionen und in gleicher journalistischer Grundhaltung wie damals weiter.

 
„Das wird keine Fassade fürr ein Einkaufscenter, das wird ein richtiges Schloss“ - Dokumentation und Analyse der Berichterstattung der Braunschweiger Zeitung in den Jahren 2004 bis 2006 zum so genannten "Wiederaufbau des Schlosses".

Inhaltsverzeichnis

A. Einleitung

B. Das politische Umfeld

C. Die Berichterstattung der BZ

Zur Berichterstattung der BZ im Einzelnen:

1. Vorgeplänkel: Der „wiederaufgebaute Ottmer-Prachtbau“
(einige Artikel vor dem 20.4.04)

2. „Das wird keine Fassade fürr ein Einkaufscenter, das wird ein richtiges Schloss“
Die Architekten-Artikel von R-H. Meyer vom 20.4 und vom 5.6.04

3. „Schloss als ‚kulturelle Hochstapelei’?“
Ein Bericht ürber die ECE-Kritiker vom 10.5.04

4. „Beim alten Schloss war das der Durchgang zum Schloss-Innenhof.“
Die Veröffentlichung der Pläne der ‚Schloss’-Nutzung am 10.6.04 und am 15.6.04

5. „Gericht: Schloss in Braunschweig darf gebaut werden“
Sonstige Artikel der BZ bis zum 10.3.05

6. „Der Schloss-Teil hat im Grundriss genau jene Maße des frürheren Residenzschlosses.“
Die Reaktionen auf die Presseratsrürge vom 8. März 05

7. „Historisch nicht wertvoll“ –ein Interview im Gefolge der Presseratsrürge

8. „Die Rekonstruktion des 1960 abgerissenen Residenzschlosses beginnt.“
Das Ende der Schamfrist

9. „’Wir bauen dort tatsächlich mit der Schlossrekonstruktion das alte Schloss [...] original 1:1 wieder auf.’“ -Auf dem Weg zur Wiederwahl von Dr.Gert Hoffmann.

10. Epilog

D. Resumee

 

A. Einleitung

Es wird vorher auf den Tisch gelegt, was möglich ist, damit es am Ende keine Enttäuschung gibt. Das Projekt wird keine Mogelpackung", meint Stadtbaurat Zwafelink angesichts der Sehnsürchte, mit denen die Pläne behaftet sind. Um falschen Erwartungen entgegenzuwirken, werde es mit den Braunschweiger Bürrgern und der hiesigen Fachwelt eine intensive ehrliche Auseinandersetzung ürber die Gestaltung geben. (Braunschweiger Zeitung vom 23. Januar 2003 ürber Stadtbaurat Zwafelink zum ECE-Projekt)

Es ist natürrlich nicht das alte Schloss. Das weiß doch jeder. Weder ist es komplett aufgebaut noch wohnt der Herzog drin. Es ist der Aufbau der Schlossfassade und das ist dann das Schloss. Und das andere ist die Schloss-Arkade.

Mit dieser Äußerung gab dann der Braunschweiger OB Dr. Gert Hoffmann kurz nach der Eröffnung der "Schloss-Arkaden" in der Sendung "Das Shopping-Schloss“ im NDR am 1.April 2007 indirekt einem Braunschweiger Bauhistoriker Antwort, der den Umstand, dass da nur eine Fassade rekonstruiert worden ist, fürr besonders erwähnenswert gehalten hatte.

Der Braunschweiger Fernsehzuschauer wird ob dieser Freimürtigkeit des Oberbürrgermeisters seinen Ohren nicht getraut haben. Hatte der OB bis dato nicht immer Gegenteiliges betont? Ein halbes Jahr zuvor erst, kurz vor der Kommunalwahl, war er doch in der BZ wie folgt zu Wort gekommen:

Ich empfehle eine Baustellenbesichtigung, dann sieht man, dass das nicht nur eine bloße Fassade ist. Wir bauen dort tatsächlich mit der Schlossrekonstruktion das alte Schloss unter Verwendung alter Bauteile und hochwertigen Sandsteins original 1:1 wieder auf.

Und hatte nicht die BZ in ihrer eigenen Berichterstattung ürber Jahre genau in diesem Sinne berichtet, so dass diese Worte des OBs dem treuen Leser der BZ selbstverständlich glaubwürrdig erscheinen musste?

Wenig hat große Teile der Braunschweiger Bevölkerung so erzürrnt wie diese gemeinschaftliche, irrefürhrende Propaganda von Spitzen der Stadtverwaltung und BZ in den Jahren 2004 bis 2006 zum Bau des "Schloss-Arkaden" genannten ECE-Centers, oder -wie Pressestelle der Stadt und BZ behaupten würrden- zur Rekonstruktion des Braunschweiger Residenzschlosses. Presseratsbeschwerden fürhrten schließlich zur schärfstmöglichen Sanktion des Presserates gegen die BZ: zur öffentlichen Rürge.

Die BZ versuchte, das Problem ihrer Berichterstattung auf die Verwendung des Begriffs „Schloss“ zurürckzufürhren. So gab Chefredakteur Raue einem Artikel „’Schloss’ und der Kampf um Wörter“ (29.12.06), mit dem die BZ einen Schlusspunkt unter die Diskussion ürber ihre Berichterstattung zum "Schloss"-Thema setzen wollte, folgende Einleitung:

Am Anfang waren wir Redakteure arglos, wenn nicht sogar leichtfertig. Denn wir mürssen eigentlich wissen, dass Worte eine Wirkung, erst recht eine politische Wirkung haben mürssen, selbst harmlose Worte wie "Schloss"

Lag der Empörung ürber die BZ-Berichterstattung also tatsächlich nur ein semantisches Problem zu Grunde? War es pure Wortklauberei, sich ürber die BZ und ihre Berichte zum "Schloss" * aufzuregen?

 
B. Das politische Umfeld 

Lokalberichterstattung findet nicht in einem interesselosen Vakuum statt. Um die BZ- Berichterstattung zum ECE- und ‚Schloss’-Thema angemessen würrdigen zu können, sei daher -ehe die Artikel der BZ vorgestellt werden- zunächst ein Blick auf das lokalpolitische Umfeld geworfen.

Seit Sommer 2002 war in Braunschweig die Rede von einem geplanten ECE-Einkaufszentrum im Schlosspark, der von diesem Center vollständig ürberbaut werden sollte. Das ECE-Projekt nahm spätestens in der zweiten Jahreshälfte 2003 konkretere Formen an. Geplant war ein Einkaufszentrum inklusive einer vorgehängten Rekonstruktion der dreigeschossig untergliederten Schlossfassade des alten Residenzschlosses, hinter der ein vier- bis fürnfstöckiger profaner moderner Stahlskelettbau errichtet werden sollte. Die Stadtverwaltung teilte zu dieser Zeit noch durchaus zutreffend mit, dass es sich bei dem später „Schloss“ genannten Teil des ECE unter sachlicher Betrachtung [...] um ein zeitgenössisches Bauwerk, erstellt in zeitgenössischer Bautechnik mit [...] Fassaden, die im Material und der Struktur dem Vorgängerbau entsprechen, handeln würrde.**

Den Architektenwettbewerb fürr die Fassadenverkleidung des ECE nahm die Stadtverwaltung zum Anlass, in ihrer Darstellung des ECE-Projekts einen entscheidenden Umschwung zu vollziehen. Bei der Vorstellung des Siegerentwurfes des Architekturbürros Grazioli & Muthesius im Dezember 2003 erklärte man, dass dieser nicht nur die Rekonstruktion der Schlossfassade vorsehe, sondern die Rekonstruktion des Schlosses. Es darf jedoch bezweifelt werden, dass im Zuge des Wettbewerbs diesbezürglich objektiv wesentliches entschieden wurde. Ein deutliches Indiz dafürr ist der Flyer "Chancen fürr Braunschweig", der vor der Entscheidung des Wettbewerbs veröffentlicht wurde und in dem bereits von einer "annähernden Volumenrekonstruktion" des Ottmer-Schlosses die Rede ist. Mehr war auch nach dem Wettbewerb nie in Erwägung gezogen worden. Es ist nur mehr behauptet worden. ürber die Grürnde, warum die Fabel von der Schlossrekonstruktion zeitgleich mit der Verkürndung des Wettbewerbsergebnisses verbreitet wurde, kann nur spekuliert werden. Mag sein, dass bereits in den Wettbewerbsunterlagen entsprechendes vorgebracht wurde, um ürberhaupt hochkarätige Teilnehmer fürr den Architektenwettbewerb zu gewinnen. Jedenfalls ist die Jury des Architektenwettbewerbs -wenn man der BZ in diesem Punkt Glauben schenken darf- bereits von einem "historischen Wiederaufbau" des Schlosses ausgegangen.***

Mag sein, dass man diese Gelegenheit beim Schopfe packte, um die gleiche Mär auch der Bevölkerung zu erzählen.

Von der Notwendigkeit, das ECE-Projekt der Bevölkerung, in der sich massive Widerstände ankürndigten, auf diese Weise schmackhaft zu machen, hatte OB Hoffmann bereits am 25.6.03 gesprochen, als er vor der kaufmännischen Union argumentierte, dass das ECE-Projekt ohne das Versprechen, das ehemalige Residenzschloss wieder aufzubauen, in Braunschweig nicht durchsetzbar wäre. (Der 1960 erfolgte Abriss der kriegsversehrten Ruine ist von vielen Braunschweigern nie verwunden worden.) Also wurde von der Stadtverwaltung der Wiederaufbau des Schlosses versprochen.

Verfolgen lässt sich dieser propagandistische Schwenk anhand von Flyern der Stadt. Hieß es im bereits erwähnten Flyer "Chancen fürr Braunschweig / Eine Information zum Bebauungsplan IN 220 'Einkaufszentrum Schlosspark'“ vom September 2003 noch, dass die Rekonstruktion der Schlossfassade und Wiederherstellung des Schlossbaukörpers in nahezu authentischen Ausmaßen geplant sei, wurde das gleiche Vorhaben in der textlich ansonsten weitgehend unveränderten Nachauflage des Flyers, der nun jedoch euphemistisch „Braunschweig im Aufwind / Eine Information zur Neugestaltung der historischen Mitte“ hieß, angepriesen als Rekonstruktion des Schlosses und Wiederherstellung in authentischen Ausmaßen, Details und Materialien. (Hervorhebungen vom Verfasser)

 


Beredtes Zeugnis dafürr, wie die Verwaltung nun das Projekt verstanden wissen wollte, legt die im Frürhjahr 2004 verfasste Kulturhauptstadtbewerbung ab, fürr die die Leiterin des städtischen Kulturamtes, Anja Hesse, verantwortlich zeichnete.**** Herzstürck des ECE-Projektes -so ist in dieser Bewerbung zu lesen- sei die Rekonstruktion des alten Welfenschlosses. Grosse Teile des ehemaligen Residenzschlosses würrden rekonstruiert. Weiter wurde in der Bewerbungsschrift behauptet:

Die Stadt wird nunmehr die Räume des auf drei Seiten original rekonstruierten Welfenschlosses ürbernehmen.

Die originale Rekonstruktion nach Raum, Lage, Umriss, Volumen und Material wird den Vorwurf der "Attrappe" widerlegen.


Die authentische Umsetzung des Vorhabens veranschaulicht Geschichte auf eine ürberzeugende Weise.

Wie ein Leitmotiv gab diese Bewerbungsschrift nach Stil und Inhalt die Melodie vor, die seither aus dem Rathaus tönte.

Deutlich ist die Absicht zur Irrefürhrung in den unscharfen Aussagen der Kulturhauptstadtbewerbung, die nur allzu leicht missverstanden werden können. Warum sonst wird nicht erwähnt, dass mit Ausnahme der drei Fassaden und Teilen der Dachlandschaft so gut wie nichts rekonstruiert werden würrde? Warum sonst nennt man die von drei Fassadenseiten des alten Schlosses umgebenen Räume das Herzstürck des Projektes, obwohl sie sowohl dem Volumen als auch der Investitionssumme nach eine Marginalie des ECE-Projektes sind und selbst die Länge der drei Fassaden von den restlichen Fassaden des Centers um ein Vielfaches ürbertroffen wird? Warum wurde nicht einmal angedeutet, dass die ECE bereits den Eingangsbereich hinter dem Portikus fürr ihr Kaufhaus reserviert hatte? In einem offiziellen Interview, auf das man von der Internetversion der Kulturhauptstadtbewerbung der Stadt Braunschweig aus verwiesen wurde, erklärte OB Hoffmann wahrheitswidrig sogar ausdrürcklich: Abgesehen davon, dass das Schloss eben nicht Kommerz beherbergen wird, [...]

Und warum sonst fand in der Bewerbung keine Erwähnung, dass in den unteren 2 Stockwerken und dem Basement von einem gegenürber dem restlichen Center abgrenzbaren Baukörper ‚Schloss’ nicht die Rede sein kann? Die in der Bewerbung vorgetragene, dem scheinbar widersprechende Behauptung, dass ein Baukörper mit dem Originalvolumen des Ottmer-Schlosses geschaffen würrde, zeugt dagegen von einer eher phantasievollen Sicht der Welt: Das "Originalvolumen" in den unteren zwei Geschossen ist Resultat eines rein definitorischen Aktes. Eine imaginäre Grenze, die dem Verlauf der Ottmer-Schloss-Rürckseite ohne Rotunde entspricht, wird quer durch die Verkaufsräume des ECE gezogen und zur Trennlinie zwischen zwei Gebäuden erklärt: diesseits rekonstruiertes Schloss, jenseits modernes Einkaufszentrum. Und schon läßt sich aus der Masse des ECE-Centers ein Bauvolumen herausschälen, das dem Volumen nach dem alten Ottmer-Schloss entspricht.

Auf den Punkt bringen lässt sich die Desinformationsstrategie der Stadtverwaltung in den Jahren 2004 –2006 nach dem in der Kulturhauptstadtbewerbung erstmals gefundenen Muster wie folgt:

- wahrheitswidrig behaupten, dass ein eigenständiger Baukörper ‚Schloss’ mit dem Volumen des Ottmer-Schlosses geplant sei.
- wahrheitswidrig suggerieren, dass das ‚Schloss’ nur kulturell genutzt werde und jedenfalls der Bereich direkt hinter dem Portikus nicht vollständig kommerzialisiert werde.
- darürber hinaus mittels konsequent unscharfer Formulierungen diffuse Erwartungen ürber den beabsichtigten Wiederaufbau schürren, die weit ürber das hinausgehen, was tatsächlich rekonstruiert werden soll.

Es ist kein Zufall, dass die Stadtverwaltung diese Prioritäten in der Irrefürhrung setzte. Die Braunschweiger sollten glauben, dass im Rahmen des ECE-Projektes das Ottmer-Schloss rekonstruiert würrde - und nicht nur dessen Fassaden. Eine Schloss-Rekonstruktion ohne entsprechenden Baukörper wäre aber auch dem gutgläubigsten Braunschweiger nicht als solche zu vermitteln gewesen. Und ein Schloss, das direkt hinter dem Portikus, der auch dem Laien ohne weiteres als der herrschaftliche Eingang erkennbar ist, kommerziell genutzt würrde, wäre in wesentlichen Teilen zu einem Kaufhaus degradiert – eine peinliche und abschreckende Vorstellung.

Die so in die Welt gesetzte Original-Residenz-Schloss-Fama wurde von der Stadtverwaltung im großen und ganzen drei Jahre lang aufrechterhalten:

- zunächst, um der Bevölkerung das ECE-Projekt schmackhaft zu machen, in der es starke Widerstände gegen das Projekt gab. So sammelte das Bürrgerbegehren zur Erhaltung des Schlossparks 30 000 Unterstürtzerunterschriften. Nicht umsonst ist gerade an dem Tag, als die Protest-Demonstration gegen die wenige Tage zuvor erfolgte ürberfallartige Abholzung des Schlossparks stattfinden sollte, in der BZ eine doppelseitige von ECE finanzierte Anzeige unter der riesigen ürberschrift „DAS SCHLOSS KOMMT WIEDER“ erschienen, in dem der Oberbürrgermeister den Leitartikel schrieb.*****

- später dann, um die Wiederwahl von OB Hoffmann abzusichern.

Der OB selbst äußerte sich nach der Wahl im September 2006, dass seine Wiederwahl eine Volksabstimmung ürber das ‚Schloss’ gewesen sei. Wie der OB die Schloss-Legende ohne alle Rürcksicht auf die Wahrheit dazu benutzte, Wählerstimmen zu gewinnen, verdeutlicht seine bereits erwähnte Replik auf die zutreffende Vorhaltung seines Herausforderers, dass nur die Fassade des Schlosses rekonstruiert würrde:

Ich empfehle eine Baustellenbesichtigung, dann sieht man, dass das nicht nur eine bloße Fassade ist. Wir bauen dort tatsächlich mit der Schlossrekonstruktion das alte Schloss [...] original 1:1 wieder auf.

Welch eine Vorlage also fürr eine sich "unabhängig" nennende Lokalpresse! Eine Stadtverwaltung, die durch Schönrednerei und gezielte Irrefürhrung der Bevölkerung das gleiche Gebäude, das sie intern geschäftsmäßig als Stahlbetonbau mit Schlossfassade beschreibt, mit einem Mal als komplette Schlossrekonstruktion verkaufen will, um zunächst ein Einkaufszentrum durchzusetzen und dann dem Oberbürrgermeister die Wiederwahl zu sichern.

Die Pläne ürber das, was tatsächlich gebaut werden sollte, waren seit Mitte 2004 auch den Redakteuren der BZ zugänglich. Ein gefundenes Fressen fürr eine Zeitung, der einzigen Tageszeitung vor Ort, die Braunschweiger darürber aufzuklären – sollte man meinen ...

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* Zum Sprachgebrauch:
Mit dem Wort "Schloss“ in Gänsefürßchen wird hier und im Folgenden der sürdwestliche Gebäudeteil des ECE-Centers bezeichnet, der von Stadtverwaltung und BZ "wiederaufgebautes Braunschweiger Residenzschloss“ genannt wird. Dieses Vorgehen erscheint ratsam, um Sprachverwirrung zu vermeiden und auf einfache Weise das im Krieg zerstörte Ottmer-Schloss vom neuen "Schloss"-Bau zu unterscheiden.

** So zu lesen in der Antwort der Verwaltung auf Frage 5 der Eingabe 163 zum Bebauungsplan IN 220.

***  Im BZ-Artikel „Schloss soll nur kulturell genutzt werden“ vom 3.12.03 wurde zunächst davon berichtet, dass CDU und FDP forderten, dass im ‚Schloss’ nur Kultur untergebracht werden soll. Es folgt der Satz: „Damit wird dem Wunsch der Jury entsprochen, die der die Trennung des modernen, kommerziellen Raumes und des historischen Wiederaufbaus dringend empfahl.“ Die Jury verstand unter ‚historischen Wiederaufbau’ also offensichtlich mehr als eine Fassadenrekonstruktion, da ihre Forderung nach Trennung von kommerziellen Raum und historischem Wiederaufbau andernfalls sinnlos wäre.

**** Darauf angesprochen und um Erklärungen gebeten, wies Frau Hesse jede inhaltliche Verantwortung fürr das "Schloss"-Kapitel der Kulturhauptstadtbewerbung von sich, mit der Erklärung, dass sie keine Bauhistorikerin wäre und nur Satzbausteine der Verwaltung zusammengesetzt hätte.

***** Die BZ war zu diesem Zeitpunkt wegen einer zwei Monate zuvor erfolgten Presseratsrürge in dieser Sache in ihrer Aktionsfreiheit eingeschränkt und vermied fürr eine gewisse Zeit des Wort „Schloss“. Das ist wohl eine Erklärung dafürr, warum die BZ den OB ausgerechnet in dieser heiklen Situation nicht mit einem redaktionellen Beitrag unterstürtzte und stattdessen die ECE fürr den OB mit einer doppelseitigen Anzeige in die Bresche sprang.

(Fortsetzung folgt