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30.11.10 1000 € FÜR JEDEN - Freiheit Gleichheit Grundeinkommen
Geschrieben von: Kerstin Lindner   

Eine Buchbesprechung:

In Braunschweig sind 40.400 Menschen, das bedeutet jeder sechste Bürger, arm. Arm ist man per Definition dann, wenn man weniger als 60 Prozent des durchschnittlich verfügbaren Einkommens zum Leben hat. Viele dieser Menschen können am gesellschaftlichen Leben nicht so teilhaben wie es ihren Fähigkeiten und Kompetenzen entspricht. Andererseits kann auch die Braunschweiger Gemeinschaft deren Wissen und Begabungen kaum nutzen. Das Buch von Götz Werner und Adrienne Goehler "1000 € FÜR JEDEN - Freiheit Gleichheit Grundeinkommen" regt an, alte Denkmuster zu verlassen, neue Wege zu gehen, um Voraussetzungen dafür zu schaffen, daß alle Menschen zu unser aller Vorteil am gesellschaftlichen Leben teilhaben können.

Wäre das nicht ein verführerischer Gedanke – 1000 € jeden Monat auf die Hand – und das bedingungslos. Jeder Bürger, vom Kind bis zum Rentner, erhält monatlich ein Einkommen, das ihm eine volle Teilhabe am gesellschaftlichen Leben ermöglicht. Der Betrag setzt kein menschenunwürdiges Sezieren und Kontrollieren der eigenen Vermögensverhältnisse voraus, und er macht Arbeit nicht zum Zwang. Die materielle Sicherheit eines Grundeinkommens gestattet es Menschen, ohne Unsicherheit, Existenzangst und Depression selbstbestimmt zu leben - so das enthusiastische Bekenntnis der Autoren.

Kinder würden in die Lage versetzt, ihrer Persönlichkeit entsprechend Vorschul-, Schul- und Berufsausbildung umzusetzen, um Intellekt, Selbstbewusstsein und Kreativität zu entwickeln. Altersarmut, insbesondere bei Frauen würde nicht mehr existieren. Der Lebensabend kann in Würde gelebt werden. Durch das Grundeinkommen wird der nichtberufstätigen Ehefrau in der klassischen Rolle der Kindererziehenden und der die Pflege und Betreuung der Eltern übernehmenden, die Möglichkeit gegeben, die starren Abhängigkeitsverhältnisse zu lösen und das Leben selbstbestimmt umzusetzen. Kurz: Mensch kann in Würde leben, so wie Artikel 1 im Grundgesetz festlegt: "Die Würde des Menschen ist unantastbar".

In keinem der derzeit existierenden Parteiprogramme ist das bedingungslose Grundeinkommen mit individuellem Rechtsanspruch und ohne Bedürftigkeitsprüfung und Zwang zur Arbeit eingeflossen. Einzelne Vertreter aller demokratisch legitimierten Parteien äußern sich jedoch zum Thema:

Katja Kipping von der Linkspartei ist Sprecherin des parteiunabhängigen Netzwerkes Grundeinkommen. Das Netzwerk fordert u.a. ein Grundeinkommen für Arbeitslose in strukturschwachen Gebieten und ein lebensphasenbezogenes Grundeinkommen.

SPD und Gewerkschaften äußern sich zurückhaltend zum bedingungslosen Grundeinkommen. Positiv bewerten sie eine Lockerung des Abhängigkeitsverhältnisses der Arbeitnehmer vom Arbeitgeber.

Vertreter der FDP orientieren auf ein pauschales staatliches Grundeinkommen einschließlich Unterkunfts- und Heizungsgeld bei Bedürftigkeit. Dieses sogenannte liberale Bürgergeld kann jedoch sofort entzogen werden, wenn die angebotenen Arbeiten nicht angenommen werden. Ca. 50 % der Mitglieder der Grünen sympathisieren mit dem bedingungslosen Grundeinkommen.

Dieter Althaus, ehemaliger Ministerpräsident Thüringens (CDU), hat sich intensiv mit dem solidarischen Bürgergeld auf der Basis des Milton Friedmann Prinzips der negativen Einkommenssteuer auseinander- und sich dafür eingesetzt.

Die Finanzierung des bedingungslosen Grundeinkommens ist folgendermaßen angedacht: Alle Sozialausgaben werden gebündelt und stellen als Existenzgrundlage einen Teilbetrag des Grundeinkommens dar. Der Differenzbeitrag zu einem Einkommen, das eine volle Teilnahme am gesellschaftlichen Leben ermöglicht, wird durch die Erhöhung der Mehrwert- oder Konsumsteuer ermöglicht. Die Autoren regen an, parallel zum Einkommenssteuerfreibetrag einen Mehrwertsteuerfreibetrag auf das Existenzminimum einzuführen. Existenzminimum plus Mehrwertsteuerfreibetrag auf das Existenzminimum ergeben das bedingungslose Grundeinkommen. Trotz Erhöhung der Mehrwertsteuer bleiben die Preise weitgehend stabil, da die Unternehmenssteuern gestrichen werden und Sozialabgaben der Unternehmen zudem weitgehend entfallen.

Der Konsum, nicht aber die Arbeit, wird besteuert. Kreativität, Entbürokratisierung, hohe internationale Wettbewerbsfähigkeit im Ergebnis des bedingungslosen Grundeinkommens, begünstigen die Kontinuität der Zahlung.

Dieses Buch bietet Anstöße zum Nachdenken, denn so wie jetzt wird es nicht weitergehen. Bedingungsloses Grundeinkommen heißt allerdings neu denken. Das ist die erste Hürde, denn gemeinhin ist der Mensch auf alte Denkschablonen fixiert. So sind wir fixiert auf Einkommen durch Arbeit. Der Gedanke, dass Einkommen Arbeit ermöglicht, scheint fremd zu sein.

Bedingungsloses Grundeinkommen zwingt nicht und belohnt auch nicht, sondern hält uns den Rücken frei zu fragen: Was kann ich und was will ich, wie kann ich meine Fähigkeiten am besten einbringen? Bedingungsloses Grundeinkommen ist kein sozio-ökonomisches Rechenmodell, es ist ein anderer Gesellschaftsentwurf. Ein Entwurf, der an der "Würde des Menschen" ansetzt und nicht am Kontostand.

Das vorliegende Buch ist kein Rechenwerk, das aufzeigt, wie ein anderes Gesellschaftsmodell zu finanzieren ist. Dieses Buch gibt Anstöße zur Diskussion, wie wir in Zukunft leben könnten, ohne die Würde zu verletzen. Es sollte als Einstieg in ein gesellschaftspolitisches Thema verstanden werden. Dafür ist es geeignet, vor allem wenn man bereit ist, sich auf etwas Neues einzulassen; ein Rezeptbuch ist es nicht.

Ein Mangel des Buches ist, daß die ökologische Seite mit ihrem zunehmenden Ressourcenmangel, die einsetzenden Verteilungskämpfe und die globalisierte Wirtschaft nur minimal gestreift werden. Das Modell setzt auf Wachstum der Wirtschaft. Es ist also noch immer in den tradierten Grundmustern der derzeitigen klassischen Ökonomie gefangen und dem damit einhergehenden Ressourcenverbrauch. Das muss aber nicht so bleiben, denn das Gesellschaftsmodell des bedingungslosen Grundeinkommens soll gerade die Kräfte freisetzen, die auch diese zukunftsentscheidenden Fragen zu lösen vermögen.

Weitere Informationen bei der Initiative Bedingungsloses Grundeinkommen.